INTERVIEW ZU SOUL SEEKER

Alyson Noël

Alyson, mit der „Evermore“-Serie haben Sie als Autorin einen sensationellen Durchbruch erlebt und sind bis an die Spitze der New-York-Times-Bestsellerliste gelangt. Auch in Deutschland stehen Sie mit Ihren „Evermore“-Romanen regelmäßig auf den Bestsellerlisten und feiern ebenso große Erfolge mit ihrer zweiten Serie „Riley“. Nun schreiben Sie bereits an einer neuen Romanserie, die auf insgesamt vier Bände angelegt ist; der erste erscheint im Herbst 2012. Was hat Sie zu „Soul Seeker“ inspiriert und worum geht es darin?

Während ich die „Evermore“- und „Riley“-Reihe schrieb, habe ich viel recherchiert, und bei diesen Recherchen entstand die Idee zu “Soul Seeker”. Bei meinen Nachforschungen stieß ich immer wieder auf den Schamanismus und war davon so gefesselt, dass mir sofort klar war: Ich möchte eine neue Serie schaffen, in der ich diese Ideen weiter verfolgen und entwickeln kann.

Im ersten Buch “Vom Schicksal bestimmt” lernen wir die 16-jährige Daire Santos kennen. An der Seite ihrer Mutter, die als Maskenbildnerin für Hollywood-Filmproduktionen arbeitet, hat sie ein ziemlich glamouröses Leben geführt und ist, umgeben von Stars und Sternchen, an Drehorten rund um den Globus aufgewachsen. Dabei hat Daire jedoch nie lange genug an einem Ort gelebt, um echte Freunde gewinnen oder eine normale Schule besuchen zu können. Ein „normales“ Leben, wie es die meisten Jugendlichen führen, hat Daire nie kennengelernt. Aber das ändert sich schlagartig, als die Visionen, die sie schon seit Jahren verfolgen, so überwältigend werden, dass man sie nicht länger ignorieren kann. Sie wird zu ihrer Großmutter nach Enchantment in New Mexico geschickt, um fortan bei ihr zu leben. Obwohl Daire und ihre Großmutter sich nie zuvor gesehen haben, erkennt die alte Frau, was die Visionen ihrer Enkelin bedeuten: Sie rufen Daire dazu auf, ihrer Bestimmung als „Soul Seeker“ zu folgen – das ist jemand, der Zugang zu der Welt der Toten hat und zwischen Diesseits und Jenseits vermitteln kann.

Hier in Enchantment, in der kargen Ebene von New Mexico, findet Daire endlich Freunde, sie verliebt sich Hals über Kopf und muss einem finsteren Feind entgegentreten, der sie dazu zwingt, ihr Schicksal als Soul Seeker mit allen Opfern und Entbehrungen anzunehmen. Außerdem muss sie herausfinden, ob Dace – der Junge aus ihren Träumen – ihre wahre Liebe ist oder ob er auf der Seite des Feindes steht, den sie vernichten muss.

Für “Evermore” haben Sie ausgiebig recherchiert. War die Recherche für „Soul Seeker“ genauso aufwändig und wie sind Sie dabei vorgegangen?

Die Recherche gehört zu meinen Lieblingsaufgaben beim Schreiben. Sie trägt nicht nur dazu bei, dass die Welt in meinen Büchern authentischer wird, sondern ich kann mich dabei auch eingehend mit Themen beschäftigen, die mich schon immer begeistert haben. Bisher habe ich viele Bücher über Schamanismus, Mystik, alte spirituelle Praktiken, Mythen und Legenden gelesen, aber die Recherche für die „Soul Seeker“-Reihe ist noch nicht abgeschlossen. Ich habe auch einen dreitägigen Einführungskurs über die Grundlagen des Schamanismus besucht. Das war wirklich faszinierend. Außerdem habe ich einige Ausflüge ins wunderschöne New Mexico unternommen. Ich habe dort einheimische Teenager befragt, um zu erfahren, wie es sich anfühlt, in dieser Umgebung aufzuwachsen, und ich habe mich mit einem Indianer getroffen, um einen Einblick in die Lebensbedingungen in einem Reservat zu bekommen.

Warum haben Sie ausgerechnet New Mexico als Schauplatz gewählt und wie haben Sie sich mit dieser Gegend vertraut gemacht?

Ich war das erste Mal vor über zehn Jahren in New Mexico und habe mich sofort in die Landschaft verliebt. Seitdem ist dieser Bundesstaat eines meiner liebsten Reiseziele. Mit seiner schroffen Umgebung, den mystischen Legenden, dem vielfältigen Mix der Kulturen und dem indianischen Einfluss passte New Mexico einfach perfekt zur Welt von „Soul Seeker“. Also habe ich die Handlung meiner Geschichte in die fiktive Stadt Enchantment in New Mexico versetzt.

Wie würden Sie Daire, die Hauptperson der neuen Romanserie, beschreiben?

Daire Santos ist eine mutige, eigenständige, weitgereiste 16-Jährige, die ihrer Welt etwas überdrüssig, ein bisschen einsam und vor allem sehr verletzlich ist. Sie muss sich von heute auf morgen in einer Rolle zurechtfinden, die ihr ganzes Leben auf den Kopf stellt und auf die sie nicht im Geringsten vorbereitet ist. Trotzdem ist sie fest entschlossen, ihr Bestes zu geben, um ihrer neuen Aufgabe gerecht zu werden.

Zu ihrer Mutter Jennika hat sie ein inniges, wenn auch manchmal turbulentes Verhältnis, und mit ihrer Großmutter Paloma verbindet sie starke Loyalität. Sobald sich Daire in Enchantment eingelebt hat, schließt sie dauerhafte Freundschaften, zum Beispiel mit Xotichl Gorman, ein schönes blindes Mädchen mit großem Einfühlungsvermögen, mit der hübschen, beliebten Lita Winslow und mit dem verträumten Dace Whitefeather, das ist übrigens der Junge, der sie in ihren Träumen verfolgt.

5. Die Hauptfiguren Ihrer Romane sind fast immer junge Leute, die an der Schwelle zum Erwachsenwerden stehen. Was ist für Sie am Lebensabschnitt zwischen 16 und 18 Jahren besonders interessant?

Dieses Alter ist von großen, bisweilen alles erschütternden Veränderungen geprägt. Man beginnt seine Persönlichkeit zu entdecken und seinen Platz in der Welt zu finden. Die Lebensphase steckt auch voller Widersprüche: Man will dazugehören und doch seinen eigenen Weg gehen. Da ist der Wunsch, sich von der Familie abzunabeln, und zugleich das Bedürfnis nach familiärer Geborgenheit. Außerdem ist die Jugend voll neuer, aufregender Erlebnisse und Erfahrungen, die man so nie wieder empfinden wird. Das alles bietet phantastische Anregungen für Geschichten, und das Schreiben aus der Teenager-Perspektive fühlt sich für mich einfach ganz natürlich an. Tief im Inneren bin ich eben immer noch 16!

6. Daire steht in „Soul Seeker“ eine außergewöhnliche Frau zur Seite: Es handelt sich um Daires Großmutter, Paloma Santos, eine starke, faszinierende Persönlichkeit. Sie begleitet Daire auf ihrem spirituellen Weg und hilft ihr, ihre Bestimmung zu erkennen und anzunehmen. Können Sie uns etwas mehr über Paloma Santos erzählen? Sind Sie jemals einer Frau wie ihr begegnet?

Paloma ist in der Romanserie eine meiner Lieblingsfiguren. Ihr Vorbild waren die vielen starken, faszinierenden, klugen und mutigen Frauen, die ich kennenlernen durfte. Im Aussehen geht sie auf meine „Abuela“ zurück (wir haben unsere Großmutter väterlicherseits so genannt, weil ich halb hispano-amerikanisch bin). Obwohl ich sie nur ein einziges Mal getroffen habe, kann ich mich gut an die zierliche, hübsche Frau mit den unglaublich gütigen Augen erinnern. Sie hatte ein warmes, liebevolles Wesen, und die Familie stand für sie immer an erster Stelle. Ihr habe ich „Vom Schicksal bestimmt“ gewidmet.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, in Ihrer neuen Serie über Schamanismus zu schreiben?

Mich begeistern alle Arten von Mythen und Mystik. Der Schamanismus als eine der ältesten Praktiken eröffnete mir das Tor zu einer faszinierenden Welt, die ich unbedingt entdecken wollte. Aber ich muss hinzufügen, dass die Mythologie, die ich für „Soul Seeker“ erschaffen habe, nicht nur auf ein einzelnes Glaubenssystem zurückgeht. Ich bin bei meiner Recherche auf verschiedenste Konzepte des Schamanismus gestoßen, die ich aufgegriffen und den Bedürfnissen der Geschichte angepasst habe. Während Daire Santos´ Vorfahren vor Jahrhunderten als traditionelle Schamanen begonnen haben, ist Daire nun ein „Soul Seeker“ und gehört damit zu einer neuen Generation von Schamanen.

Haben Sie selbst schon einmal einen Schamanen getroffen?

Ja, ich habe einen dreitägigen Einführungskurs besucht, der von einer Schamanin geleitet wurde. Das war absolut faszinierend! Ich hatte einige erstaunliche Erlebnisse, die alle ins Buch eingegangen sind.

Das Interessante am Schamanismus ist, dass die Bezeichnung „Schamane“ einem Menschen von der Gemeinschaft verliehen wird. Zwar kann jemand die schamanischen Praktiken erlernen, aber er wird nur dann zum Schamanen berufen, wenn er durch Erfolge beweist, dass er diesen Titel verdient.

Im Schamanismus spielen Tiere eine wichtige Rolle. Zum Beispiel erscheinen Hilfsgeister, die den Schamanen führen und beschützen, häufig in Tiergestalt, und der Schamane kann sich mittels Tieren in andere Welten transformieren. In Daires Halluzinationen tauchen immer wieder Krähen und Raben auf. Können Sie uns etwas mehr über die Bedeutung dieser Tiere erzählen?

In der Welt der “Soul Seeker” wird jeder Mensch von einem Tiergeist geleitet, unabhängig davon, ob er sich dessen bewusst ist oder nicht. Das Tier an seiner Seite verrät viel über den Charakter und den Lebensweg des betreffenden Menschen. Sowohl Raben als auch Krähen gehören zur Familie der Rabenvögel. Zwar sind es Krähen, die Daires Geburt ankündigen, und Krähen spielen auch eine große Rolle in den verstörenden Visionen, die darauf hindeuten, dass Daire zum „Soul Seeker“ berufen ist, aber ihr wahrer Tiergeist ist der Rabe.

Raben sind sehr intelligente Tiere mit einem starken Überlebensinstinkt. Auch spielen sie häufig eine Rolle in der Magie sowie in Märchen und Sagen, wo ihnen magische und transformative Kräfte zugeschrieben werden. Die schwierige Aufgabe für Daire besteht darin, sich auch dann der Führung ihres Raben anzuvertrauen, wenn sein Verhalten auf den ersten Blick keinen Sinn für sie ergibt.

In “Evermore” und “Soul Seeker” stoßen Sie die Leser beständig auf eine Welt jenseits der glamourösen Fassade von Schönheit, Jugendlichkeit und Reichtum. Diese Welt übt in Ihren Romanserien einen starken Einfluss auf das alltägliche Leben aus und tritt vor allem durch paranormale Phänomene zutage. Hat Ihr großes Interesse an paranormalen Phänomenen, das Sie bereits als Kind hatten und das nun auch in Ihre Romane einfließt, etwas mit der Suche nach Wahrheit zu tun?

Unbedingt. Man wird schnell zu einer Geisel der materiellen Welt, einer Welt, die von Schönheit, Jugend und Reichtum regiert wird. Ich denke aber, wir machen uns etwas vor, wenn wir unseren Ehrgeiz nur auf diese oberflächlichen Ziele richten. Dass wir Schönheit und Wohlstand genießen können, ist eine wunderbare Gabe, aber ich fest davon überzeugt, dass unser Leben einem höheren Zweck dient, als sein Alter zu verleugnen oder Wertgegenstände anzuhäufen. Wir sind in erster Linie mit der Erde verbunden, ebenso wie wir miteinander verbunden sind. Sobald man diesen Gedanken zulässt, sieht man die Welt mit völlig anderen Augen.

Ihr Debütroman “Faking 19” wurde 2005 veröffentlicht. Seither haben Sie sieben weitere eigenständige Romane sowie die beiden Serien „Evermore“ und „Riley“ mit insgesamt zehn Bänden geschrieben. Was hat Sie daran gereizt, sich jetzt wieder auf eine umfangreiche Romanserie einzulassen?

Meine ersten sieben Romane waren in sich abgeschlossen. Obwohl es mir wirklich Spaß gemacht hat, sie zu schreiben, habe ich gemerkt, dass mir die Arbeit an einer Romanserie noch besser gefällt. Ich kann meine Figuren darin auf viel weitere Reisen schicken und den Geschichten Raum geben, auf eine Weise zu wachsen und sich zu entfalten, wie es in einem enger begrenzten Rahmen kaum möglich wäre. Außerdem fällt es mir schrecklich schwer mich zu verabschieden, und bei einer Romanserie kann ich viel mehr Zeit mit meinen Figuren verbringen als bei nur einem Buch.

Der erste Band von “Evermore” kam 2009 heraus und stürmte wie alle folgenden Bände der Serie auf Anhieb die New-York-Times-Bestsellerliste. Wie hat dieser überwältigende Erfolg Ihr Leben und ihre Arbeit verändert?

Obwohl ich mir den Erfolg immer erträumt habe, kann ich ehrlich sagen, dass sich mein Leben, im Gegensatz zu meiner ständig wachsenden Schuh-Sammlung, kaum verändert hat. Ich tue das, was ich schon immer getan habe: Ich sitze jeden Tag am Schreibtisch und denke mir Geschichten aus, die ich selber gern lesen würde, und hoffe, dass andere sie ebenso gern lesen.